Ein Stücklein vom rüstigen Sigismund
Bücher teilen Schicksale. Kameraden in dieser Hinsicht sind die überwiegend aus May-Texten bestehende „Karawanenwürger“-Sammlung und die Jugendbearbeitung des „Sigismund Rüstig“ nach Frederick Marryat, die beide in den gleichen Häusern und unter denselben Bedingungen erschienen und nicht selten sogar als siamesische Zwillinge auftraten. Es kann hier nicht darum gehen, die gesamte Editionsgeschichte deutschsprachiger Ausgaben des „Masterman Ready“ aufzublättern (das würde Bücher füllen). Beschränken wir uns auf einzelne Phasen der Schicksalsgemeinschaft beider genannten Titel, die mit dem Verlag von Hugo Liebau in Berlin begann:
Einzelbände ab 1894
Zeitgleich – wie diese Annoncierung als „Erschienene Neuigkeit“ im Börsenblatt belegt – kamen „Der Karawanenwürger“ und „Sigismund Rüstig“ in der zweiten Jahreshälfte 1894 bei Hugo Liebau in Berlin auf den Markt, wobei der zweitgenannte Titel seltsamerweise nicht unter dem Namen seines Urhebers, sondern unter dem des pseudonymen Bearbeiters H. W. Georg erfasst wurde, über den wir schlichtweg gar nichts wissen. Die Adressbücher [Berlin] kennen ihn ebenso wenig wie die zeitgenössischen biografischen Lexika (z. B. Brümmer).
Noch im selben Jahr (zum 1. November) wurde der Liebau-Verlag an A[ugust] Weichert in Berlin verkauft [Börsenblatt]. Deshalb sind in den Nationalbibliografien die eigentlich auf Liebau zurückgehenden Novitäten des Jahres 1894 unter A. Weichert erfasst. Die Weiterführung des Liebau-Programms erfolgte bei Weichert mit neuem Impressum, weshalb die Liebau-Ausgaben des Jahres 1894 Raritäten ersten Ranges sind. Und obwohl ich selbst kein einziges Exemplar besitze, können gleich drei verschiedene Farbvarianten des „Karawanenwürgers“ dokumentiert werden, die auch der versierte Sammler wohl noch nicht zusammen gesehen hat:
Die Abbildungen für die rote und die hellgraue Variante haben mir freundlichenweise Christoph Blau und Stefan Schmatz zur Verfügung gestellt. Der Nachweis der blauen Version, die offensichtlich dem Karl-May-Verlag 1987 für seinen Reprintband als Vorlage diente, gelang durch eine entsprechende Einlieferung zu einer Auktion der Karl-May-Gesellschaft [Hermesmeier]. Die Abbildung bei Hainer Plaul [DB 26] nach einem Exemplar aus der Sammlung von Stefan Wunderlich sieht nach einem fast weißen Einband aus, hat sich aber nach einer Rückfrage durch Stefan Schmatz [S. 80] beim Eigentümer als eine hellgraue Variate (wie oben) herausgestellt. Es könnte dennoch weitere Farbvarianten gegeben haben. Lassen wir kurz die Bibliografie folgen:
Autor: | anonym |
Titel: | Der Karawanenwürger und andere Erzählungen. |
Untertitel: | Erlebnisse und Abenteuer zu Wasser und zu Lande. |
Ausstattung: | Mit 5 Buntdruckbildern. |
Sammelband: |
|
Ort: | Berlin. |
Verlag: | Verlag von H[ugo] Liebau. |
Jahr: | [1894] |
Format: | Farbig illustrierte Leinwand mit Titelgoldprägung; 8º (20,5 × 14,2 cm) |
Kollation: | 127 (1) Seiten; farbiges Frontispiz und 4 weitere chromolithografierte Bildtafeln |
Bildtafeln:
Die Tafel 2 „Im fernen Westen“ war bei Weichert später der Streichkandidat. Die übrigen vier wurden über Jahre weiterverwendet, allerdings bei Neudrucken unter Verzicht auf den roten Rahmen.
Den zweifellos genau so seltenen „Sigismund Rüstig“ habe ich in einem ramponierten Exemplar auf einem Berliner Flohmarkt erbeuten können. Gönnen wir uns auch hier zunächst einen Blick auf die bibliografischen Daten:
Autor: | Marryat, Frederich |
Titel: | Sigismund Rüstig oder Der Schiffbruch des Pacific. |
Untertitel: | Eine Erzählung für die Jugend nach Kapitän Marryat von H. W. Georg. |
Ausstattung: | Mit 5 Buntdruckbildern. |
Ort: | Berlin. |
Verlag: | Verlag von H[ugo] Liebau. |
Jahr: | [1894] |
Format: | Leinwand mit montiertem farbigen Deckelbild; Gr.-8º (22,5 × 15,5 cm) |
Kollation: | 135 (1) Seiten; farbiges Frontispiz und 4 weitere chromolithografierte Bildtafeln |
Bildtafeln:
Bei diesem Band war es die Tafel 4, auf die Weichert künftig meist verzichtete. Die Übrigen wurden noch lange weiterverwendet.
Auf den einschlägigen Antiquariats-Plattformen ist von beiden Büchern erwartungsgemäß nichts zu sehen. Dass sie – abgesehen vom Erscheinungsdatum – bei Liebau noch nicht viel gemeinsam hatten, wird durch folgenden Direktvergleich offensichtlich:
Waren schon die Bildbeigaben stilistisch sehr unterschiedlich, so kommt hinzu, dass bei Liebau „Der Karawanenwürger“ (Verlagsnummer 81) ein kleineres Format hatte, dafür aber mit einem durch mehrfarbige Prägung aufwändiger hergestellten Vorderdeckel daher kam, wohingegen „Sigismund Rüstig“ (Verlagsnummer 22) mit einem separat gedruckten Papierbild Vorlieb nehmen musste. Der Rechtsnachfolger Weichert war sehr um Vereinheitlichung auf niedrigem Niveau bemüht: Unter Beibehaltung des Satzspiegels wurde das Format des „Karawanenwürgers“ auf das Maß des größeren „Sigismund“ (und weiterer Bände) angepasst und erhielt folgerichtig einen neuen Einband mit montiertem Deckelbild.
Mit „Sigismund“ wiederum konnte man es sich sehr viel einfacher machen: Der Einband wurde mit neuer Bestellnummer (151) übernommen, nur hat man den unteren Rand des Deckelbildes etwas beschnitten, sodass die inzwischen ungültige Verlagsangabe verschwand:
Hier beginnt die enge Verwandschaft beider Titel. Auch die neuen Bestellnummern des Verlags (149 und 151) lagen nun dicht beieinander. Die Textblocks blieben unangetastet (trotz des ehedem unterschiedlichen Formats). Die Titeleien hingegen wurden korrigiert. Beim „Karawanenwürger“ wurde sie komplett neu gesetzt und damit auch modernisiert. Hier der Direktvergleich Liebau–Weichert:
Die neue Titelei von Weichert aktualisierte das Impressum und verzichtete auf Informationen zu den Bildbeigaben (wenn man nichts verspricht, kann sich kein Kunde über Fehlendes beschweren). Das größere Format wurde dabei nicht ausgenutzt. Die Titelkolumne hätte sich auch für das kleinere Format geeignet. Da ja auch der Satzspiegel des Buches unverändert blieb, wollte man sich möglicherweise zunächst Optionen für eine kleine Edition offen halten. Beim Titelblatt zu „Sigismund Rüstig“ hat man es sich erkennbar leichter gemacht, indem man die alte Titelkolumne mit wenigen Korrekturen einfach weiterverwendete:
Die Typografie erschien offenbar modern genug. Es verschwand eine Zierlinie, die Verlagsangabe wurde aktualisiert. Und man empfand es offenbar nicht einmal als peinlich, die Ziffer „5“ aus der Ausstattungszeile zu entfernen (wie auch den abschließenden Punkt), ohne die entstandenen Lücken durch Zusammenrücken wieder auszugleichen.
Diese handwerkliche Schlamperei war kein Einzelfall, wie wir später noch sehen werden, und es handelte sich auch nicht um einen Fauxpas, den man sich irgendwann zu korrigieren bemühte, denn, wie man sieht, stand mir kein frühes Weichert-Exemplar mit der Adresse Andreasstraße 32 zur Verfügung. Die Neue Königstraße 9 war erst ab 1. April 1896 aktuell [vgl. Plaul 264.2+3]. Den Fehler schleppte man demnach ungerührt auch bei weiteren Sterotypnachdrucken mit durch. Die Streichung der Ziffer wurde vorgenommen, weil Weichert von vornherein die Zahl an Bildbeigaben – für beide Titel übrigens – auf vier reduzieren wollte. Aus ökonomischen Gründen war die ‚krumme‘ Zahl fünf von Anfang an unsympathisch. Wie hätte man die Druckstöcke für 5 Abbildungen auf einem Bogen platzieren sollen?
Ab 1896 schloss man der „Karawanenwürger“-Sammlung mit eigenem Zwischentitelblatt eine nicht dazugehörige Erzählung an, wodurch man in der Angleichung einen weiteren Schritt voran kam, nämlich beim Umfang, der sich offenbar 10 Bogen (= 160 Seiten) annähern sollte:
Autor: | anonym |
Titel: | Der Karawanenwürger und andere Erzählungen. |
Untertitel: | Erlebnisse und Abenteuer zu Wasser und zu Lande. |
Sammelband: |
|
Angebunden: | Auf dem Rio Gila. Eine Erzählung aus dem Südwesten der vereinigten Staaten von Amerika von Heinrich Walden. |
Ort: | Berlin O. |
Verlag: | Druck und Verlag von A[ugust] Weichert |
Jahr: | [1896] |
Format: | Halbleinwand mit montierter farbiger Deckelillustration; 8º (22,2 × 17 cm) |
Kollation: | 159 (1) Seiten; farbiges Frontispiz und 3 weitere chromolithografierte Bildtafeln |
Mariagen ab 1900
Es ist nicht überliefert, wer die Idee geboren hat, neue Bücher dadurch zu schaffen, dass man schon vorhandene einfach kombinierte. Möglicherweise wurde dieses Vorgehen dadurch befördert, dass eine Rechtschreibreform vor der Tür stand, die einen Neusatz des gesamten Programms erforderlich machte, jedenfalls des überwiegenen Teils davon, der sich speziell an die Jugend wandte. Wechselnde Titel und veränderte äußere Gestaltung bei gleichem Inhalt täuschten eine Vielfalt nur vor, hatten aber das Potential, mehr Kunden für die alten Inhalte anzusprechen.
Ab 1900 gab es unter dem Titel „Im wilden Westen“ zum ersten Mal eine Mariage aus „Sigismund Rüstig“ und „Der Karawanenwürger“. Zur Geschichte dieser Edition verweise ich auf einen gesonderten Beitrag in diesem Blog. Ab 1904 – die neuen Rechtschreibregeln waren längst in Kraft getreten – gab es unter dem ebenso allgemeinen wie nichtssagenden Titel „Auf der Prairie“ [Plaul 353 und Hermesmeier/Schmatz UA5.6] einen weiteren Abverkaufsversuch im Doppelpack, diesmal im zu Titel und Inhalt in keiner Weise passenden floralen Jugendstil-Dekor. Ein Exemplar ist mir nie in die Hände gekommen, sodass ich mangels Masse über die Edition nichts Neues mitteilen kann. Die zugegebenermaßen schlecht aufgelöste Abbildung biete ich nebenstehend nur colorandi causa an.
Einzelbände ab 1903
Bei der äußeren Gestaltung der Einzelausgaben von „Der Karawanenwürger“ und „Sigismund Rüstig“ ergaben sich nach der Jahrhundertwende keine Veränderungen, wenn man davon absieht, dass „Sigismund“ wieder die Bestellnummer 22 bekam, die er schon bei Liebau hatte. Ob dies Irrtum, Schlamperei oder Absicht war, kann ich vorläufig nicht klären:
In beiden Bänden wurden ebenfalls die je vier bisherigen Bildtafeln weiter verwendet. Die Blocks beider Bände erfuhren jedoch einen durch die Rechtschreib-Reform bedingten Neusatz. Die Ergebnisse der II. Orthographie-Konferenz von 1901 wurden per Erlass amtlich und somit für Behörden ab 1. Januar 1903, für Schulen ab 1. April 1903 verpflichtend – mit entsprechenden Folgen für Jugendbücher. Der Umfang von „Sigismund Rüstig“ stieg dabei leicht von 135 auf 142 Seiten.
Beim „Karawanenwürger“ gingen die Änderungen etwas weiter. Dadurch dass man den Satzspiegel endlich auf das große Format anpasste, hatte man so viele Seiten eingespart, dass das Ergebnis ein zu dünnes Buch gewesen wäre. So ergänzte man die in neuer Reihenfolge wieder aufgenommenen alten Einzelerzählungen (einschließlich „Auf dem Rio Gila“ von Heinrich Walden) um eine neue: „Die Sklavenjäger von Lindi“ von Ludwig Foehse. So ergab sich mit 155 Seiten fast wieder der vorherige Gesamtumfang. Die Titeleien beider Bände zeigen in Typografie und Aufteilung nun auch deutlich ihre Verwandschaft:
Mariagen ab 1911
Einige Jahre später griff man nochmals die Idee von 1900 auf, beide Bände vereint herauszugeben, diesmal allerdings unter veränderten Vorzeichen: Einerseits stand nicht der Abverkauf alter Bestände im Vordergrund, und andererseits hatte sich herausgestellt, dass sich „Sigismund Rüstig“ besser verkauft hatte als „Der Karawanenwürger“, weshalb man 1911 nicht noch einmal einen neutralen Titel wählte, sondern den verkaufsträchtigen „Sigismund Rüstig“ auch für das Tandem verwendete.
Impressum Weichert
Das Titelblatt der Einzelausgabe wurde weiterverwendet (Veränderungen beim Impressum hat es fortlaufend gegeben und sind deshalb nicht überzubewerten). Hier im Direktvergleich die Titeleien der Einzelausgabe (links) und der Mariage (rechts):
Die schwächere Bewertung des „Karawanenwürgers“ durch den Verlag äußerte sich nicht nur in der Wahl des Titels, sondern auch in der Art wie der May-Band angebunden wurde, denn tatsächlich übernahm man nur Zweidrittel (sechseinhalb von zehn Bogen) der Einzelausgabe, indem man die letzten beiden Erzählungen einfach unterschlug. Das entsprechend innerhalb des Satzes verkürzte Inhaltsverzeichnis macht das deutlich:
Äußerlich spendierte man eine neue Gestaltung, die mit anderen Titeln aus dem Hause Weichert korrespondierte. Der Vorderdeckel wurde stark geprägt, sodass sich ein deutlich fühlbares Relief ergab. Bei der Rückenbeschriftung kamen drei unterschiedliche Schriftgrade zum Einsatz. Die Textur des Bezugspapiers war unterschiedlich stark kontrastiert. Abgenutzte Präger führten bei späterer Herstellung zu etwas breiteren Linien in der Deckelzeichnung:
Es ist davon auszugehen, dass es über den Zeitraum weniger Jahre immer wieder zu Stereotypnachdrucken kam, die manchmal, aber wohl nicht immer, an kleineren typografischen und inhaltlichen Veränderungen des Impressums unterscheidbar sind (vgl. Hermesmeier/Schmatz UA7.3 T1–3, T6–7). Zeitgleich entstanden Mitdrucke für Großkunden, die genauer nicht zu datieren sind, zumal sie keinerlei Indizien für ein signifikant späteres Erscheinen als die Weichert-Grundedition von 1911 aufweisen:
Impressum Rob. Bachmann
Eine Edition der Mariage für „Rob. Bachmann, Berlin C.19“ hat bereits Hainer Plaul [563] nachgewiesen und mit der Datierung „Vermutlich frühestens ab 1912“ versehen. Tatsächlich gibt es kein beweiskräftiges Argument gegen ein mögliches Erscheinen schon 1911. Aus Mangel an überzeugenden Belegen bleibe ich daher beim frühest möglichen Ankerdatum 1911, was auch für die weiteren noch zu beschreibenden Paralleldrucke gilt. Hermesmeier/Schmatz [UA7.3 Tx] haben konsequent jeder Versuchung widerstanden, Vermutungen oder Spekulationen zum tatsächlichen Erscheinungszeitpunkt zu verzeichnen.
Gönnen wir uns noch einen Blick in die Adressbücher [Berlin]. Die „Buchh[an]dl[un]g Engr[os]“ Rob. Bachmann (Inhaber: Robert Bachmann und Robert Schreiber), im Branchenverzeichnis in den Rubriken ‚Reisebuchhandlungen‘ und ‚Sortimentsbuchhandlungen‘ aufgeführt, finden wir im Jahrgang 1910 noch im selben Postbezirk wie A. Weichert (Berlin NO 43), in der Linienstraße 1, wo Robert Bachmann auch seinen Wohnsitz hatte. Eine Geschäftsbeziehung könnte sich aufgrund persönlicher Bekanntschaft ergeben haben. Jahrgang 1911 der Berliner Adressbücher dokumentiert einen Umzug der Firma in die Wallstraße 17–18 (Berlin C 19), die mit der Titelei des „Sigismund Rüstig“ korrespondiert. Die neue Anschrift blieb über viele Jahre unverändert und hilft daher nicht bei der zeitlichen Abgrenzung der Buchausgabe.
Ergänzend kann noch mitgeteilt werden, dass die Firma Robert Bachmann ein langjähriger Vertriebspartner des Karl-May-Verlags war. Dieser hat in den Jahren von 1929 bis 1934 regelmäßig im Börsenblatt ganzseitig eine Liste seiner Auslieferungsstellen veröffentlicht – zumeist in der Hochphase des Weihnachtsgeschäfts. Bachmann ist immer mit dabei.
Impressum Verlag Deutsche Jugend
Bei Plaul erstaunlicherweise nicht erfasst, obschon seit langem bekannt, ist ein weiterer Mitdruck für den real wahrscheinlich nicht existenten Verlag Deutsche Jugend, den die Adressbücher [Berlin] jedenfalls nicht verzeichnet haben. Für Plauls Verzicht könnte diese Mutmaßung von Heinz Mees verantwortlich sein:
Eine identische Ausgabe erschien vermutlich nach 1912 mit der Verlagsbezeichnung: Verlag Deutsche Jugend, Berlin SW. Vermutlich steht dahinter der Weichert-Verlag, der aus vertriebstechnischen Gesichtspunkten dieses “Pseudonym” wählte.
Mees [S. 25]
Eine nach 1912 erschienene Edition hätte nicht mehr in den vorgegebenen Berichtszeitraum gepasst. Ein zweimaliges „vermutlich“ und ein nachmaliges „vertriebstechnisch“ (ein Mediziner hätte „idiopathisch“ gesagt) sollten nur verschleiern, dass Heinz Mees überhaupt nichts wusste, und die Kenntnislage hat sich seither auch nicht verbessert. So hat sich allerdings auch kein Argument ergeben, das gegen die Parallelität der verschiedenen Titelauflagen des Weichert-Verlags spräche. Das gilt auch für zwei weitere Mitdrucke, die in der Sekundärliteratur bisher nicht aufgeführt sind:
Impressum Heilbrunn & Co.
Zum einen hätten wir da eine Edition des immer gleichen Sammelbandes vom „Verlag Heilbrunn & Co., G. m. b. H. Berlin W. 30.“, den die Adressbücher [Berlin] tatsächlich kennen. Firmensitz war Schwäbische Straße 25 in Berlin W 30 (Schöneberg). Die Geschäftsführer waren Sally Simon und Hermann Heilbrunn. Unter der gleichen Anschrift findet sich die Verlagsbuchhandlung J. Gnadenfeld & Co., deren Inhaber zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Sally Simon war. Der neu nachgewiesene „Sigismund Rüstig/Karawanenwürger“-Sammelband unterscheidet sich in Aussehen, Material und Druckbild nicht von den bisher genannten.
Impressum „GE“ ↔ „EG“
Eine weitere neu entdeckte Parallelausgabe, die mir dankenswerterweise Markus Böswirth leihweise zur Verfügung gestellt hat, belegt, dass Weichert nicht nur Großkunden in Berlin hatte. Hier geht es sogar ins Ausland, nach Budapest. Die konkrete Adresse ist genannt, wenn sich auch anstelle einer ordentlichen Verlagsangabe nur ein aus zwei in der Reihenfolge indifferenten Initialen bestehendes Monogramm findet. Wieder mit Unterstützung alter Adressbücher [Budapest] ließ sich ermitteln, dass sich unter der angegebenen Anschrift die Druckerei des renommierten Athenæum-Verlags fand, der von 1896 bis Mitte der Dreißigerjahre immer wieder Karl May-Übersetzungen ins Ungarische publiziert hat.
Das Monogramm passt wunderbarerweise zu dessen Direktor Gustav Emich, resp. Emich Gusztáv in ungarischer Schreibweise, sodass ich in einer früheren Version dieses Beitrags ihm das Monogramm zugeschrieben habe. Kürzlich konnte ich allerdings die schwer zu bekommende Bibliografie der ungarischen May-Ausgaben erwerben, die im Jahr 2005 von Schneller Károly (Karl Schneller) als These an der Universität Budapest vorgelegt wurde und von der nur wenige private Abzüge existieren.
Dort werden zur bekannten zeitgenössischen May-Edition des Athenæum-Verlags wenige Titelauflagen bildlich präsentiert, unter anderem auch mit dem obigen Monogramm „EG“ und ordentlicher Verlagsangabe: „Eisler G[ábor] kiadóhivatala“ [= Verlagsbüro Gábor Eisler], woraus sich die sichere Auflösung des Monogramms zwanglos ergibt. Der hier ursprünglich geschilderte Zusammenhang der Weichert-Ausgabe mit dem Athenæum-Verlag war also nicht gänzlich falsch. Möglicherweise war Eisler nur ein Imprint und existierte als selbstständige Firma überhaupt nicht, ein Konzept das wir ja auch von Weichert sehr gut kennen. Sollten sich in Zukunft neue Erkenntnisse ergeben, werden sie an dieser Stelle ergänzt.
Aufbrauchedition Weichert
Eindeutig später dürfte diese bei Hermesmeier/Schmatz nicht verzeichnete Aufbrauch-Ausgabe zu datieren sein, die in der Titelei nicht mehr auf die neue Rechtschreibung hinwies und sich auch nicht mehr auf die bislang gültigen vier Bildtafeln festlegen wollte. Es ging wohl darum, die letzten noch vorhandenen Chromotafeln unterzubringen. Das lithografische Druckverfahren hatte sich in der Massenfertigung überlebt und war der weniger aufwändigen Autotypie gewichen, dem Vorläufer des Offsetdrucks, sodass nicht mehr durch Nachdruck einzelner Tafeln der Bestand ergänzt wurde. In der entsprechenden Ausstattungszeile auf dem Titelblatt (rechts) klafft erneut ein Loch, weil man ein Zahlwort entfernt hatte. Hier im Direktvergleich mit dem Titelblatt von 1911 (links):
Enthalten sind von den ehemals vier Chromolithografien nur noch diese zwei:
Dabei ist zu bedenken, dass für den Befund nur ein einziges exemplarisches Belegstück zur Verfügung stand. Wegen des verbliebenen Plurals in der Titelei ist zwar davon auszugehen, dass alle Aufbrauchbände dieser Tranche über mindestens zwei Tafeln verfügten, wobei Unterschiede in Anzahl, Auswahl und Positionierung aber nicht ausgeschlossen werden können.
Der Einband ist nicht mehr reliefartig geprägt, sondern erstmals glatt bedruckt (lediglich die schwarze Zeichnung weist noch leichte Vertiefungen auf). Damit fungiert diese bislang unbekannte und vermutlich aus der Zeit zu Ende des Ersten Weltkriegs stammende Aufbrauchedition als eine Art missing link zu den weiter unten beschriebenen Ausgaben aus den Zwanzigerjahren. Leider kenne ich davon nur dieses reparierte Exemplar mit erneuertem Rücken und ersetzten Vorsätzen, sodass nicht mehr bestimmbar ist, ob es ehemals ein Exemplar in Halbleinwand oder – wahrscheinlicher – ein Pappband war. Letzteres würde immerhin zwanglos den fehlenden Rücken erklären: Pappbände aus Weichert-typisch minderwertigen Materialien hatten notorisch schwache Außengelenke, die auch bei normalem Gebrauch zum Platzen neigten.
Einzelbände Anfang/Mitte der Zwanzigerjahre
Zu Beginn der Zwanzigerjahre fing Weichert damit an, sein gesamtes Programm zu modernisieren, wovon die Textblocks aber ausgeschlossen blieben. Einbände und Illustrierung wurden erneuert und die Titelseiten neu gestaltet. Wegen der Beschaffung von Bildtafeln bei einer sehr überschaubaren Zahl von Illustratoren, ist davon auszugehen, dass sich der Prozess über Jahre hinzog und man von der Gleichzeitigkeit nicht grundsätzlich wird ausgehen können. Sowohl bei „Sigismund Rüstig“ als auch bei „Der Karawanenwürger“ übernahm das Max Wulff, der Bildtafeln und die Deckelillustration beisteuerte. Obwohl gegenüber früheren Ausgaben gespart wurde, indem man die Zahl von ehemals fünf, lang gewesenen vier Bildtafeln nun weiter reduzierte, so zeigt sich dennoch eine höhere Wertschätzung durch den Verlag beim „Sigismund Rüstig“, der mit immerhin noch drei mehrfarbigen Illustrationen bestückt wurde, wohingegen sich „Der Karawanenwürger“ mit nur zwei duotonen Tafeln begnügen musste.
Dabei wiesen frühere Drucke dieser Bände auf der Titelei einen Zierrahmen auf, auf den bei Nachdrucken dann wieder verzichtet wurde. Dieses Phänomen lässt sich sowohl beim „Karawanenwürger“ als auch zum Beispiel bei „Der Waldläufer“ beobachten. Einen „Sigismund Rüstig“ konnte ich mit Zierrahmen bisher nicht nachweisen, weshalb dieser möglicherweise erst später fertig wurde. Weitere Indizien für ein früheres oder späteres Erscheinen sind die Buchbreiten. Zunächst stimmten sie noch mit früheren Ausgaben überein (ca. 16,5 cm), wurden aber schon bald um 1 cm verkürzt). Auch die Schriftgrößen auf dem Rücken änderten sich. Nach diesen Kriterien bemühe ich mich nachfolgend um eine nicht näher bestimmbare chronologische Einordnung innerhalb eines Zeitraums von etwa 1921 bis 1927:
Buchbreite 16,5 cm – Titelei mit Zierrahmen
Zu dieser wohl frühesten Variante liegen mir zwei in der Einbandfarbe unterschiedliche Belege vor, die endlich auch den Namen des Co-Autors Karl May als werbeträchtig erkannten:
Mit beiden Versionen korrespondieren nachfolgende Titelblätter:
Sieht man gnädig von der ästhetisch zu rügenden Widmung und dem nicht weniger hässlichen Stempel ab, so unterscheiden sich die Titeleien nur beim Impressum. Da das rechte im Folgenden weiter verwendet wurde, dürfen wir die linke Version wohl als die etwas frühere annehmen.
Diese Bildtafeln nach Max Wulff, mit denen die Ausgabe künstlerisch durchaus gewann, waren beiden hier beschriebenen wie auch allen späteren Editionen des „Karawanenwürgers“ beigegeben:
Buchbreite 15,5 cm – Titelei mit Zierrahmen
Mit unveränderter Titelei (diesmal kann ich einen sauberen Beleg dokumentieren) bei schmalerem Deckel gab es wieder verschiedene Einbandfarben. Die zweite Bildtafel nach Wulff findet sich konsequent gegenüber Seite 64. Auch die Rückenprägung blieb die gleiche. Insgesamt also nur wenige Veränderungen, aber immerhin diese: Die etwas schmalere Anlage der Deckel machte es erforderlich, die das montierte Bild umgebende Rahmenprägung anzupassen:
Buchbreite 15,5 cm – Titelei ohne Zierrahmen
Sieht man davon ab, dass das Titelblatt keinen Zierrahmen hatte, stimmte die nun vorzustellende Ausgabe des „Sigismund Rüstig“ mit der zuvor beschriebenen Kategorie überein. Die Einbandfarbe passt und auf dem Vorderdeckel fand dieselbe Rahmenprägung Anwendung wie unmittelbar zuvor bei „Der Karawanenwürger“. Etwas merkwürdig ist die Rückenprägung mit der von unten nach oben laufenden Schrift. Bei den bisherigen Bänden war das umgekehrt:
Zu zeigen sind noch die drei neuen Wulff’schen Bildtafeln, von denen versierte May-Sammler die dritte kaum kennen werden:
Von dieser Edition leiten sich wieder einmal Mariagen ab, die ein Intermezzo bilden:
Mariagen Mitte der Zwanzigerjahre
Die Idee, „Sigismund Rüstig“ und „Karawanenwürger“ kombiniert herauszugeben, wurde wieder aufgegriffen, in optisch sehr ähnlicher Weise wie schon zuletzt. Die Deckelillustration wurde auf grüner Halbleinwand übernommen. Das Tandem erhielt in der Titelei zur Kennzeichnung den Zusatz „Große Ausgabe“. Der „Karawanenwürger“-Anhang enthielt beide Bildtafeln nach Max Wulff.
Impressum Weichert
Innerhalb des Haupttitels „Sigismund Rüstig“ fanden allerdings nur die ersten beiden Tafeln eine Wiederaufnahme (als Frontispiz und gegenüber Seite 64). Das gilt jedenfalls für alle mir bekannten Exemplare der Weichert-Edition:
Impressum Dammann & Rauch
Erfreulicherweise gibt es hier die Gelegenheit, eine Parallelausgabe mit bislang unbekanntem Impressum von Dammann & Rauch aus Frankfurt vorzustellen, die im Marryat-Teil tatsächlich alle drei zugehörigen Bildtafeln nach Max Wulff enthielt:
Die Adressbücher [Frankfurt] weisen erstmals 1920 eine ‚Grossobuchhandlung und Verlag‘ dieses Namens nach, mit Sitz in der Kronprinzen-Straße 39, ab Jahrgang 1922 als ‚Grossobuchhandlung‘, ab Jahrgang 1926 als ‚Großbuchhandlung‘, im Jahrgang 1927 nur noch als ‚Papiergroßhandlung‘, bis dahin mit unveränderter Adresse. Im Jahrgang 1928 verlagerte sich der Firmensitz an die Wohnanschrift des Firmeninhabers Heinrich Dammann, Windmühlstraße 12, und findet sich im Jahrgang 1929 unter gleicher Anschrift mit veränderter Firmierung als „Dammann & Co.“. 1930 schließlich scheint die Firma erloschen zu sein. Heinrich Dammann blieb unverändert dort wohnen, aber nur noch als einfacher ‚Kaufmann‘. Alles in allem eine kurzlebige Unternehmung, die innerhalb ihrer Gründungsphase die Inflationszeit noch überstand, aber in der Weltwirtschaftskrise unterging. Nach dem sich hier auftuenden Zeitrahmen muss die für Frankfurt hergestellte Mitdruckausgabe vor 1927 entstanden sein.
Einzelbände Mitte/Ende der Zwanzigerjahre
Impressum Neuer Jugendschriften-Verlag
In unmittelbarem Zusammenhang zur gerade eben beschriebenen Mariage entstand diese Einzelausgabe des „Sigismund Rüstig“ für den in Leipzig ansässigen Neuen Jugendschriften-Verlag. Ein Indiz dafür ist die in der Titelei wohl irrtümlich stehengebliebene Markierung als „Große Ausgabe“. Bei unveränderter Rückenprägung kleidete man diese Ausgabe in sandgrüne Halbleinwand mit einer neuen Umschlagillustration nach Hermann Tischler, die jedoch nicht montiert, sondern direkt auf das Bezugspapier gedruckt wurde. Die Leipziger Ausgabe enthielt nur die ersten beiden Bildtafeln nach Max Wulff (als Frontispiz und gegenüber Seite 64).
Mit gleichem Impressum, jedoch ohne den Zusatz „Große Ausgabe“ folgte eine weitere Edition, wieder in sandgrüner Halbleinwand, wieder mit nur zwei Bildtafeln an gleicher Position. Die Deckelillustration wurde durch eine neue desselben Künstlers ersetzt:
Für beide hier beschriebenen Einband-Neuerungen gibt es kein Pendant beim „Karawanenwürger“. Auch ließ sich dieses Impressum für den May-Band nicht nachweisen. Nehmen wir das als erstes Anzeichen dafür, dass Weichert das Interesse an diesem Titel zu verlieren begann. Interessant ist allerdings der Name des Leipziger Großkunden, denn als Weichert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Hannover umzog, gründete der Verlag dort einen Imprint mit genau dieser Bezeichnung. Von etwa 1963 bis 1971 brachte der Neue Jugendschriften-Verlag Hannover eine stark bearbeitete May-Werkausgabe auf den Markt. Möglicherweise war dies auch schon in den Zwanzigerjahren ein Weichert-Imprint, denn die Adressbücher [Leipzig] konnten zur Auffindung des Unternehmens leider keine Informationen liefern.
Impressum Drei Türme Verlag
Zeitlich genau zwischen die beiden Leipziger Phänotypen dürfte diese Ausgabe aus Hamburg einzuordnen sein, denn einerseits weist sie noch das unsinnige Prädikat „Große Ausgabe“ auf der Titelei auf, verwendet aber andererseits schon das zweite Deckelbild nach Hermann Tischler:
Genau wie die Leipziger Ausgaben verwendet diese aus Hamburg nur zwei der drei Tafeln nach Max Wulff. Und ebenso wie dort ist hier keine entsprechende „Karawanenwürger“-Ausgabe nachweisbar. Wundern wir uns noch, dass die Adressbücher [Hamburg] einen Drei Türme Verlag nicht kennen?
Schmaler Rücken
Die nun folgende Unterkategorie zeichnet sich durch dünneres Papier aus. Das führte zu so schmalen Bänden, dass die alte Rückenprägung nun nicht mehr passte und durch eine neue in kleinerem Schriftgrad ersetzt werden musste. Am Textblock änderte sich weiterhin nichts. Aber die Rahmenprägung auf dem Vorderdeckel erfuhr eine Variation. Beginnen wir mit dem „Karawanenwürger“ in immer noch roter Einbandfarbe, dafür aber erstmals ohne Zierrahmen auf dem Titelblatt. Die Wulff’schen Bildtafeln finden sich unverändert als Frontispiz und gegenüber Seite 64. Es dürfte sich hierbei um die letzte Einzelausgabe des „Karawanenwürgers“ mit Weichert-Impressum handeln.
Impressum Rhein-Elbe-Verlag
Es ist aber noch über bisher unbekannte Mitdrucke zu berichten. Sie erfüllen alle Kriterien der letzten Kategorie: Schmaler Rücken mit kleinerer Beschriftung, dieselbe Bildeinfassung auf dem Vorderdeckel und Titelblätter ohne Zierrahmen:
Die Einbandfarbe wechselte sowohl beim „Karawanenwürger“ als auch bei „Sigismund Rüstig“ zu blau. „Sigismund Rüstig“ erhielt das schon aus Leipzig bekannte neue Deckelmotiv nach Hermann Tischler, hier allerdings in montierter Manier. Block, Tafeln und deren Positionierung blieben unverändert:
Spätestens hier beginnt man sich zu fragen, ob Weichert inzwischen die Einbandfarben bestimmten Städten zugewiesen hat: rot für Berlin, sandgrün für Leipzig und blau für Hamburg. Könnte zwar sein, aber dann nur kurzfristig, denn weiter geht’s in schweinchen-rosa:
Assad Bei beim Rhein-Elbe-Verlag
Im gerade eben erst mit einer Neuerung erwähnten Rhein-Elbe-Verlag erschienen gegen 1926/27 unter dem Titel „Assad Bei der Herdenwürger“ Auszugsbände des „Karawanenwürgers“ mit dessen ersten drei Erzählungen, dem Weichert zwei neue Illustrationen des vielbeschäftigen Max Wulff gönnte, eine für den Vorderdeckel, eine als Frontispiz (wie nebenstehend). Hermesmeier/ Schmatz [UA8] war die Edition zwar bekannt; dennoch kann hier einiges ergänzt werden. Zum einen gab es das schmale Bändchen mit zwei sich leicht unterscheidenden Varianten des Deckelbildes. Zum anderen war „Assad Bei“ in ein Reihenkonzept eingebettet. Als ein weiteres Beispiel zeige ich hier „Die Ansiedler von São Paulo“:
Hier zum Vergleich die Titelblätter beider Bände:
Insgesamt waren gleichzeitig 10 Titel mit unbeschrifteten weißen Rücken, rosa Bezugspapier und montiertem Deckelbild herausgekommen, die jeweils einen Umfang von fünf Bogen (= 80 Seiten) hatten. „Die Ansiedler von São Paulo“ bringen am Schluss auf der unpaginierten Seite 79 die nebenstehende Auflistung der 10 Bände mit „Assad Bei“ an Position 5:
Schon 1928 hatte sich dieses Reihenkonzept allerdings verändert und wesentlich erweitert. Es waren mittlerweile 20 Bände einer Reihe namens „Jugendträume“ auf dem Markt, die mit Julius Emil Gaul sogar einen eigenen Herausgeber hatte. Alle Bändchen hatten fünf Bogen (= 80 Seiten) Umfang, waren im Impressum datiert (man denke), hatten orange Leinenrücken und hellrotes Bezugspapier. Der Vorderdeckel brachte oben ein Titelfeld und darunter ein farbiges Deckelbild. Hier ein Beispiel von 1928:
Diese Reihe bestand zunächst aus 20 neuen Titeln, jedoch wurden die obigen 10 in unveränderter Reihung als deren Bände 41 bis 50 geführt. Die Zählungslücke sollte in den kommenden Jahren wohl mit weiteren neuen Bänden gefüllt werden, bei denen das Versprechen „mit 2 bunten Bildern“ wohl auch eingehalten wurde, bei „Assad Bei“ allerdings nicht – bis zum Beweis des Gegenteils. Das Aussehen der rosa zehn wurde den hellroten führenden Reihenbänden wohl nicht angepasst. Nebenstehende Auflistung findet sich auf dem hinteren Innendeckel von Isabella Brauns „Jugend-Erzählungen“. Diese Zusammenhänge belegen, dass „Assad Bei“ vor 1928 erschienen sein muss. Mit dieser Edition war das Kapitel der „Karawanenwürger“-Ausgaben bei Weichert beschlossen.
Erschreckend ist das Preisniveau, bei dem man mittlerweile angelangt war: ein gebundenes Buch für 50 Pfennige. Der eine oder andere mag sich erinnern, dass das 1892 bei Fehsenfeld der Preis für ein einzelnes Karl-May-Lieferungsheft gewesen war.
Mariagen ab Ende der Zwanzigerjahre
Die Idee, mehrere Bücher zu einem neuen zu verheiraten, war bei Weichert noch immer nicht vom Tisch, nur war Karl May nicht mehr beteiligt. Die Einbandgestaltung wurde sogar wieder aufgegriffen, diesmal aber abweichend mit gelbem Rücken. Anstelle des „Karawanenwürgers“ wurden nun die schon von weiter oben bekannten „Sklavenjäger von Lindi“ von Ludwig Foehse angebunden, die 80 Seiten umfassten. Dem Karl-May-Sammler ist also dringend vom Erwerb dieser Edition abzuraten, wenn auch die bekannte Deckelillustration sehr zum Kauf verlockt:
Wieder einmal hat man den Titelzusatz „Große Ausgabe“ vergessen. Mein Exemplar trägt eine private Widmung von März 1929, in diesem Fall eine ganz nützliche Datierungshilfe. Die letzten Vorräte des Foehse-Textes waren wohl rasch aufgebraucht. Auf ihn folgte in der gleichen gelben Halbleinen-Decke „Der fliegende Holländer · Eine Erzählung für die Jugend von Kapitän Marryat · Deutsch von Karl Wildung“, der genau wie zuvor „Die Sklavenjäger von Lindi“ 80 Seiten umfasste. Immerhin stammten nun die verbundenen Bücher vom selben Verfasser. Und dieser Kombination gönnte Weichert in den Dreißigerjahren noch eine neugestaltete Decke mit korrigiertem Titelblatt, das diesmal wieder auf die „Große Ausgabe“ hinwies, wenn auch schief und verquetscht:
Diese Einbandillustration wurde noch 1960 bei einer Neuausgabe im Hause Weichert mit dem Untertitel „Abenteuerliche Fahrten eines Seemanns“ verwendet. Die Geschichte des „Sigismund Rüstig“ en Detail weiterzuverfolgen lohnt an dieser Stelle aber nicht, weil sich weitere für die Karl-May-Bibliografie nützliche Querbezüge nicht mehr ergeben können. Gleichwohl ist bei dem hier schon präsentierten Variantenreichtum damit zu rechnen, dass in Zukunft Belege mit neuen Abweichungen oder Impressen in die bestehende Systematik nachgetragen werden müssen. Alle Beiträge in der Sekundärliteratur über die „Karawanenwürger“-Ausgaben haben sich im Nachhinein als Zwischenbericht herausgestellt. Es gibt keinen Grund zu der Überzeugung, dass es diesmal anders sein könnte.
Wer immer über Buchausgaben verfügt, die er/sie in dieser Systematik vermisst, darf sich eingeladen fühlen, sich mit mir in Verbindung zu setzen und so zu einer Aktualisierung beizutragen. Einstweilen bedanke ich mich herzlich bei Christoph Blau, Markus Böswirth und Stefan Schmatz für Abbildungen und Leihgaben.
Wolfgang Hermesmeier
Berlin, 21. Juli 2022
Zuletzt aktualisiert: 29. Juni 2023
Literaturverzeichnis
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Adressbücher Budapest Budapesti Czim- és Lakásjegyzék 1880-1928. Digitalisat des Hungaricana Cultural Heritage Portal
Adressbücher Frankfurt Frankfurter Adressbücher. Digitalisat der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Adressbücher Hamburg Liste aller Bände. Digitalisat der Universität Hamburg
Adressbücher Leipzig Leipziger Adreß-Buch. Digitalisat der Sächsischen Landesbibliothek — Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
Börsenblatt Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die verwandten Geschäftszweige. Leipzig, Börsenverein der deutschen Buchhändler, 11. August 1894 [In diesem Artikel drei Anzeigen verwendet: [1] 61. Jahrgang, Nº 185, 11. August 1894, Seite 4796; [2] 61. Jahrgang, Nº 256, 3. November 1894, Seite 6880; [3] 96. Jahrgang, Nº 282, 6. Dezember 1929, Seite 10653; [4] 101. Jahrgang, Nº 285, 7. Dezember 1934, Seite 5785. Digitalisat der Sächsischen Landesbibliothek — Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
Brümmer Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sechste völlig neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage. Achter Band. Wißmann bis Zyböri. Nachträge zum 1.–8. Band. Leipzig, Verlag von Philipp Reclam jun[ior], [1913]. Digitalisat von archive.org
Hermesmeier Wolfgang Hermesmeier: Katalog zur Auktion anlässlich des 24. Kongresses der KMG. In: KMG-Nachrichten · Das Vierteljahresmagazin der Karl May Gesellschaft · Nr. 193; separat paginiert; hier: S. [9]; Los Nr. 85.
(= Beilage zu) Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft · 49. Jahrgang · 3. Quartal · Nummer 193. Radebeul, Karl-May-Gesellschaft e. V., September 2017.
Hermesmeier/Schmatz Wolfgang Hermesmeier/Stefan Schmatz: Karl-May-Bibliografie 1913–1945 · 1.–5. Tausend. Bamberg—Radebeul, Karl-May-Verlag, (2000).
(= Sonderband zu den Gesammelten Werken Karl May’s)
Mees Heinz Mees: Neue Karawanenwürger-Ausgaben aufgetaucht · Bibliografische Notizen. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft · 17. Jahrgang · Nummer 67. Hamburg, Karl-May-Gesellschaft e. V., Februar 1986; S. 25–32.
Plaul Hainer Plaul: Illustrierte Karl May Bibliographie · Unter Mitwirkung von Gerhard Klußmeier. Leipzig, Edition Leipzig, (1988). resp. München—London—New York—Paris, K[laus] G[erhard] Saur, 1989.
Schmatz Stefan Schmatz: Grossobücher und denkwürdig abenteuerliche Verlagsbeziehungen · Seltene Einbandvarianten von Karl-May-Büchern (VI). In: KARL MAY & Co. 1|21 · Das Karl-May-Magazin Nr. 163. Borod, Mescalero e. V., Februar 2021; Seiten 80–86.
Schneller Karóly Schneller: May Károly munkássága a magyar könyvkiadás tükrében · Szakdolgozat. Budapest, Eötvös Lórand Tudományegyetem · Bölesészettudományi Kar · Informatikai – Könyvtártudományi Intézet – Főiskolai Könyvtár – Informatikai Központ, 2005.
[= Karl Mays Werk im Lichte des ungarischen Buchverlags · These. Budapest, Eötvös-Lórand-Universität – Philosophische Fakultät – Informatik – Institut für Bibliothekswissenschaft – Universitätsbibliothek – Informatikzentrum, 2005]
Spannender sehr interessanter Beitrag mit einer Fülle an bibliographischen Informationen. Ich habe großen Respekt vor Ihrer akribischen Forschungsarbeit und bewundere die schönen beigefügten Illustrationen!
Es ist immer schön, wenn die eigene Arbeit zu schätzen gewusst wird. Haben Sie Vielen Dank!
Servus Herr Hermesmeier. Ein unglaublicher Aufwand an Zeit für alle diese Recherchen.
Da steckt wahre Liebe zu Karl May dahinter.
Es würde mich allerdings interessieren, wie viele Fans sich alle diese Details „reinziehen.“
All diesen Aufwand hätte ich mir für die in den „unendlichen Weiten des Internets“ auf Eis liegende
ABLIT-Seite gewünscht.
ABLIT ist vermutlich ein größerer Verlust, als der Gewinn den man aus fehlenden Ziffern und Punkten der verschiedenen Weichert Publikationen zieht. Hätte Weichert nicht einige KM-Geschichten produziert,
kein Mensch würde dem Verlag nachweinen. MfG Walter Mayrhofer
Lieber Herr Mayrhofer,
nunja, wenn Robert Kraft oder Edgar Rice Burroughs bei Weichert publiziert worden wären, dann hätten Sie sich die Mühe gemacht. Ich bin ganz sicher 😉
Wie viele Nutzer sich das alles reinfahren, weiß ich nicht. Ich führe darüber auch keine Statistik. Bin ja eh ein egoistischer eitler Fatzke, der das nur für sich selbst macht 😉
Herzlichen Gruß
Wolfgang Hermesmeier