Wolfgang Hermesmeier

Notizen eines Bücherwurms aus der Karl-May-Welt

Feature

Harald Reinls „Silbersee“ – mehr Schrot als Korn

Meine Karl-May-Sozialisation begann – ich genieße die Gnade der späten Geburt – nicht mit Kinovorführungen, sondern mit einem Schwarzweiß-Röhrenfernseher der Marke Grundig (acht Programmknöpfe ohne Fernbedienung bei nur dreieinhalb emp­fang­ba­ren Kanälen: ARD, ZDF, das dritte Programm des Westdeutschen Rund­funks und bei günstigen Wetterlagen leicht verrauscht noch selbiges des Norddeutschen Rundfunks). Es war Mitte der Siebzigerjahre, als ich die heute von vielen Fans so hochgelobten Karl-May-Verfilmungen über die Matt­scheibe kennenlernte. Und als Kind war ich natürlich hin und weg. So lernte ich also die „Winnetou“-Trilogie, den „Ölprinzen“, „Old Sure-“ und „Old Shatterhand“ sowie „Unter Geiern“ über die wohldosierte Flimmerkiste kennen. Bonus war: Wenn Karl May ausgestrahlt wurde, durfte ich länger auf bleiben. Und damals kamen die Filme zur Primetime (viertel nach acht bis kurz vor zehn), aber eben auch nur ein Film pro Monat. Während man heute eine ganze Serie von Filmen am selben Tag unmittelbar nacheinander ausstrahlt, hat man seinerzeit das Besondere noch portioniert.

Einen Film der Reihe hat mich aber ein hinterhältiges Schicksal zuerst nur unvollständig und dann nie mehr sehen lassen: Mitten im „Schatz im Sil­bersee“ versagte das Gerät den Dienst. Ein anderes Mal war der Fernseher in Reparatur, oder wir hatten Besuch oder waren selbst irgendwo zu Gast, und da blieb die Kiste aus. Natürlich. Dann glaubte ich eines Nachmittags im Dritten Programm des NDR fündig geworden zu sein, und dann war es nur der Zusammenschnitt einer Freilichtaufführung aus Bad Segeberg. Was für eine herbe Enttäuschung!

Ein paar Jahre später – ich war längst zur viel spannenderen Lektüre der May-Bücher übergegangen – lockten Prospekte des Karl-May-Verlags, die – für gar nicht wenig Geld – die Karl-May-Verfilmungen auf VHS zum Kauf anpriesen. Aber wir hatten nie einen Videorecorder, ich selbst später auch nie. Die Investition in diese Konserven blieb also aus. Und so hatte ich erst durch die Erscheinung der DVD-Serie im Jahr 2005 Gelegenheit, lang schmerzlich Vermisstes nachzuholen, unvermeidlich mit einem ganz anderen Blick. Das Ergebnis ist dennoch erschütternd. Nach einer Viertelstunde stoppte ich den Film, begann von vorn und machte mir von da an un­mittelbar Notizen mit Time Code.

Diese Notizen hatte ich damals gleich veröffentlicht, im alten Webforum des Karl-May-Magazins. Allerdings sind die Beiträge von damals nach einem Software-Wechsel nicht importiert worden, sodass sie online nicht mehr zu finden sind. Einer Wayback Machine konnte ich noch den nachfolgenden Screenshot entlocken, dessen Übersichtsseite meinen Beitrag in der letzten Zeile zwar noch verheißt, aber nur als leeres Versprechen: ein Klick liefert eine leere Seite. Die ursprüngliche, nicht mehr existente Webadresse war diese hier: http://www.karl-may-magazin.de/toastforum/toast.asp?action= posts&sub=show&fid=3&tid=27941 (vielleicht weckt das Toastforum ja bei dem einen oder der anderen wehmütige Erinnerungen, aber wohl eher nicht).

Ein Blick ins alte Forum des Karl-May-Magazins

Auf einer alten Festplatte habe ich noch eine Nur-Text-Fassung meiner Notizen gefunden, diese soeben stilistisch etwas geglättet und lasse meine Protokollierung von seinerzeit nun abermals auf die Menschheit los. Wie es der Belzebub will, läuft der Film gerade jetzt auf Kabel 1. Der Text mag erklären, weshalb ich Gedrucktes jederzeit den Freilichtbühnen- und Zel­lu­loid-Fassungen vorziehe und weshalb er meine wohl einzige cineastische Beschäftigung mit dem Phänomen Karl May bleiben wird.

Wer „das Filmgefummel, das nach May sich nennt“, heiß und innig liebt und in seiner Gefühligkeit auch nicht gestört werden möchte, dem/der ist von der weiteren Lektüre dringend abzuraten. Ich möchte niemanden stören oder verärgern:

3:10
Es rast in der Totalen eine Postkutsche durchs Bild. Dass dieselbe Droschke von 3:14-3:27 in der Großaufnahme gemächlichst in Schleichfahrt an der stehenden Kamera vorbeigeschoben wird, wird doch niemandem auffallen?! Aber dem Publikum muss natürlich vermittelt wer­den: “Look at me, I am the bad guy!”

3:41
Ein Bild, wie es hunderte von Comic-Zeichnern schon hingemalt haben: Drei Banditen kauern hinter einem gewaltigen Felsen und geben vor, eine Szenerie zu belauern, die sie aber gar nicht beobachten können (soweit sie nicht über einen Röntgen-Blick verfügen), weil ihnen besagtes Massivgestein die Sicht komplett versperrt. Zuvorkommender Service, dass die Kamera zeigt, was die Galgenvögel nicht sehen.
Bonusfrage: Wozu werden diese drei Banditen überhaupt gebraucht? Deren Boss in der Postkutsche kann problemlos allein meucheln, was zu killen ist, und hätte dann auch keine Mitwisser, die später die blöde Frage stellen können, was der Überfall eigentlich eingebracht hat. Denn Beute gab’s ja keine.

7:28
Einem Schmetterlingssammler der Marke “comic relief” wird der Tropenhelm – not­wen­di­ges Accessoir des Wild-West-Reisenden – vom Kopf geschossen. Von der Seite übrigens. Dass die Löcher dann vorn im Helm sind, wird doch niemanden stören?!

8:45
Es steht eine leere Flasche auf dem Tisch, die im selben Gepräch unmittelbar vor dem Schnitt bei 8:02 noch einige Gläser gefüllt hätte.
Und dann reitet diese leere Postkutsche ein, von der Georges Götz erst einmal wegrennt, um erst dann wieder auf sie zuzulaufen, als sie sowieso schon fast steht. Was also ist zu tun, um ein Gespann durchgehender Pferde zu stoppen? Wir lernen: pogo-mäßiges Antanzen, Auf­sitzen, Nichtstun, Absitzen. Fertig. Nach nicht einmal zwei Metern steht die Chose. Mi­se­ra­belst gemachte ‚Action‘-Szene. Den unterm Bock versteckten Kutscher, den sie im Bo­nus­material ‚enthüllen‘, können sie dagegen geschenkt haben.
Noch ein paar Bonusfragen: Der alte Engel fällt einfach so aus der Kutsche. Hat sich mal irgend jemand gefragt, wieso der da überhaupt noch drin ist? Den hätten die Banditen doch genauso verscharrt, wie die beiden Kutscher. Wieso erreicht die Kutsche überhaupt ihr Ziel? Es kann ja sein, dass Pferde den Weg allein finden (wobei sie dann auch wüssten, wann sie anzuhalten hätten), aber wieso klauen Banditen keine Pferde mehr? (Das wäre doch sowieso die einzige Beute gewesen – mal abgesehen von der Hälfte einer Schatzkarte, von der außer dem Boss niemand was weiß.) Und wieso hätten sie ein Interesse daran, dass alle Welt möglichst zeitig von dem Überfall erfährt?

10:43
Winnetou findet Spuren: „5 Pferde, eins trug keinen Reiter“. Nun: das Pferd ohne Reiter war für den Boss in der Kutsche. Sehr fürsorglich. Aber da es ansonsten nur 3 Banditen waren, hätte Winnetou hier nur die Spuren von 4 Pferden sehen dürfen.

11:36
Old Shatterhand steht auf einer sandig-steinigen ‚Straße‘, auf der nicht die geringste Spur von Kutschenrädern oder Pferdehufen zu sehen ist. Nanu? Aber das Messer hat Lom einfach so hier liegenlassen. Natürlich konnte man im Wilden Westen keine forensischen Beweise sichern. Aber dass so ein Bandenchef nach einem Mord keine Verwendung mehr für das Messer gehabt hätte, ist doch schwer zu glauben.

12:03
Old Shatterhand setzt detektivischen Verstand ein: „Sie haben wohl auf die Postkutsche ge­war­tet.“ Woher weiß er von einer Postkutsche? Spuren hat er keine gefunden und erwähnt wurde eine Kutsche zwischen ihm und seinem Blutsbruder vorher im Gespräch auch nicht. Hellseherische Fähigkeiten? Oder hat er den Fahrplan im Kopf?

12:35
„Das waren Tramps.“ Woher wissen die das?

12:54
Mit lächerlich riesigen Buchstaben steht der Name „E. Engel“ auf einer Reisetasche, die die Banditen einem der Toten dann doch abgenommen haben – zu dem einen Zwecke, man denke: sie liegenzulassen. Wieso? Und Aberwitz lass nach: Winnetou weiß mitzuteilen, dass diese Tasche wahrscheinlich zu der fehlenden Leiche gehört. Wieso weiß man, dass eine Leiche fehlt? Und woher nimmt man die Sicherheit, dass keiner der gefundenen Ver­blei­chen­den einstmals auf den Namen „Engel“ hörte?

13:13
Der Wilde Westen mit Basecap und Hornbrille. Wer auf diesen kolossalen Schnitzer erst durchs Bonusmaterial aufmerksam wird, der braucht mindestens letztere selbst. Da hat sich ein Ausstatter wohl die Nominierung für die „Goldene Ananas“ sichern wollen.

14:23
Dass sich der rachsüchtige Fred Engel und Old Shatterhand unterwegs begegnen, ist ja noch logisch. Der eine reitet vom Ort des Überfalls nach Tulsa, der andere von Tulsa aus den Weg der Postkutsche zurück. Weshalb allerdings ist Old Shatterhand nicht auf der bequemen Straße wie Fred und nestelt jüst zum Zeitpunkt des Zusammentreffens im Nirgendwo neben der Piste an Sattel und Zaumzeug seines Rappen herum? Shatterhand muss doch nicht Pause machen – bei so einer kurzen Strecke. Selbst die bereits ermüdeten Kutschpferde hatten das doch offenbar spielerisch im Galopp absolviert – ohne angetrieben worden zu sein. Möchte Scharlih seine beiden Leichen noch etwas in der Sonne rösten? Was soll das? Das Publikum brüllt: “The script says so!”
Und noch ein Leckerli für die Genießer von Peinlichkeiten: Fred, ausgestattet mit knallrotem Hemd, versucht, sich hinter armdicken Baumstämmchen zu verstecken. So hat uns Karl May das Anschleichen aber nicht beigebracht!

15:27
Wir lernen, wie „Mesch’schurs“ eingedeutscht klingt: So als ob Dir ein Hammer auf den großen Zeh fällt. Und es tut auch genau so weh!

17:37
Winnetou ist unmittelbar hinter der Wache und hätte jederzeit die Möglichkeit, sie zu überwältigen. Er tut es aber erst bei 18:04, damit der Wachhabende noch bis an den Abgrund treten und man den Überfall von unten aus beobachten kann. Was soll das?
Kleine Volkszählung: Können wir uns darauf einigen, dass die Gruppe der Tramps von der Größenordnung her etwa 30 Männer umfasst? Ich denke, das kann man etwa abschätzen, wenn man sich diese Sequenz näher ansieht. Auf die Zahl komme ich später noch zurück. Die Hütte ist übrigens sehr niedlich. Reicht gerade mal für den Chef. Die anderen müssen unter freiem Himmel schlafen, nehme ich an. Das nenne ich Hierarchie.

20:12
Hier sieht man den Boss ohne Hut endlich mal aus der Nähe. Dieses rote Toupé und die grauen Haare dahinter/darunter: Auch die Maske war wohl nicht auf einen Oscar aus. Und das zieht sich dann durch den ganzen weiteren Film.
Man (will sagen: die Bande) erfährt nun, worum es bei dem Postkutschen-Überfall über­haupt ging: um die Hälfte einer Schatzkarte, die der alte Engel höchst überflüssigerweise bei sich hatte. Dass der Boss überhaupt davon wusste, muss wohl mit Hellsichtigkeit zu tun haben. Wieso erzählt er seinen Leuten eigentlich davon? Bei der Gier, die sich am Ende des Films zeigt, hätte er das doch für sich behalten; hätte ihm im Übrigen auch viele Probleme erspart.

22:05
Wenn dieser Statist jemals zuvor eine Guitarre in der Hand hatte, fresse ich einen Besen.

22:41
Derselbe Statist hat zum Klampfen keine Lust mehr. Doch auf die Musik, die man weiterhin hört, hat das keinen Einfluss.

23:30
Man ist dankbar, dass sich Lex Barker endlich rasiert. Ein Bad zu nehmen, wäre vielleicht auch nicht schlecht gewesen. Aber die einzigen Kleidungsstücke, die er abgelegt hat, sind seine Kette (aus Bärenkrallen und Zähnen) und sein Gürtel. Wozu eigentlich, frage ich mich? Und hat er jetzt tatsächlich ein Hotelzimmer gebucht, um seiner Toilette nach­zu­ge­hen? [Des Weiteren fragt sich der Weltreisende: Hat er eingecheckt, hat er ausgecheckt, und wieviel kostet ein Hotelzimmer, wenn man sich bloß mal rasieren will?]

25:19
Der Boss gibt vor, Vieh stehlen zu wollen, weil man das gut gebrauchen könne. Aber die Pferde zu Anfang beim Postkutschen-Überfall brauchten sie nicht? Ehrlich: Was will so eine Bande mit Rindviechern und Schweinen?

26:27
Hier ergibt sich noch einmal die Gelegenheit, die Banditen zu zählen. Aus der Totale ver­gleichs­weise einfach. Die Größenordnung von 30 bestätigt sich.

26:50
Wieso hat Fred jetzt plötzlich so eine dunkle Weste übergezogen? Bisher war ihm doch im luftigen roten Hemd nicht kalt.

29:04
Der erste Ansturm auf Butlers Farm brachte bereits jede Menge Leichen in den Reihen der Tramps. Komischerweise nimmt die Zahl der Banditen aber nicht ab, und es ist nur ein einziges unbesetztes Pferd zu sehen.

29:24
So, als sei gar nichts geschehen, begrüßt man sich erstmal. Fehlt noch, das Old Shatterhand der Dame des Hauses Blümchen überreicht und man zu Kaffee und Kuchen gebeten wird. Was eigentlich los ist, will Marianne Hoppe gar nicht wissen. Die Leichen vor der Haustür scheinen ebenfalls niemandes Interesse zu wecken. Losse mer liesche, des erledischt sisch schon von allaains.
Was ist das überhaupt für eine Farm? Hier sollte doch vorgeblich Vieh gestohlen werden. Irgendwann sieht man mal drei Schweine über den Hof traben. Rinder scheint’s keine zu geben (oder sie sind gerade auf der Südweide). So eine Farm beackert doch normalerweise große Flächen. Diese hier ist nur von grünen Wiesen umgeben, auf denen nichts weidet. Das, was eine Farm normalerweise ausmacht, ist hier nicht vorhanden. Dafür sind aber Pallisaden und Schießscharten vorhanden, als wäre es ein Fort.

33:03
Da haben sich die Tramps also tatsächlich die Mühe gemacht, zwei Pfähle, die aussehen, als hätte man sie gerade bei OBI gekauft, in den Boden zu rammen, um Ellen und ihren Vater daran zu fesseln. Sind denn nicht genügend Bäume da? Und außerdem sind die Pfähle so kurz, dass die beiden nur aufzustehen bräuchten, um sich selbst zu befreien. Peinliche Albernheit.

35:08
Und nun werden aus Decken Rollen in Lawinengröße gefertigt. Hat sich mal jemand überlegt, wo die Unmengen an Decken, die für sowas benötigt werden, herkommen? Mit 30 Satteldecken, die übrigens nie zu sehen gewesen wären, käme man nicht weit. Und noch was: Woher kann der Boss wissen, dass diese Rollen überhaupt gebraucht werden? Dass die zwei Gefangenen befreit werden, wodurch ein zweiter Angriff auf die Farm erst nötig wird, kann er doch noch gar nicht wissen.

35:43
Karin Dor sagt: „Der halbe Plan ist doch wertlos. Warum gibt sie ihn nicht her?“ und ihr Vater hat keine Ahnung. Dabei müsste er es wissen. Bei 31:16 hat ihm der Boss die andere Hälfte gezeigt. Das kann er doch nicht vergessen haben. So ein sinnloser Dialog.

37:55
Wer übrigens Spaß dran hat, mag mal die Position des Lochs im Helm mit dem ersten Auftritt vergleichen. Geisterhaft gewandert. Warum das zweite Loch bei 38:07 soviel kleiner ist als das erste, wird doch nicht etwa eine Frage des Kalibers sein?
Übrigens erstaunlich, wie wenige Leichen hier plötzlich nur noch rumliegen. Wer die wohl weggeschafft hat?

40:31
Der Typ hinter der Rolle raucht tatsächlich ’ne Zigarre. Ich fass es nicht.

40:33
Sieht das Dach nicht seltsam aus? Entweder es hat beim ersten Take schon mal gebrannt (Elspe lässt grüßen), oder aber die dunklen Flecken rühren daher, dass jemand Benzin vergossen hat, damit’s auch wirklich Feuer fängt.

40:47
Man frage sich, wo die Unmengen schwarzen Rauchs herkommen, an einer Stelle, wo gar nichts ist, das brennen kann.

40:56 und 41:02
Wenn man diese Totalen so sieht, haben die Tramps plötzlich Armeestärke. Wie geht das?

41:13
Hier ‚explodiert‘ eine Brandbombe. Wenn die Banditen sowas hatten, wieso haben sie sich vorher mit Fackeln begnügt? Und hat eigentlich gar keiner Angst, dass die Hälfte des Plans, die man so dringend haben will, in dem Inferno verbrennt? Die Logik macht gerade Urlaub.
Und dazu diese Kampfszene, wie sie in fast allen May-Filmen zu sehen ist: Man umrundet den Feind in möglichst knappem Abstand und bietet die eigene Breitseite, damit man leichter zu treffen ist.
Man hat wieder den Eindruck, dass die Banditen sich auf wundersame Weise vermehren. Bis zu Winnetous Auftritt bei 43:56 sieht man 18 Angreifer mehrheitlich tot vom Pferd fallen oder niedergeschlagen werden. Aber es werden nicht weniger. Rechnet man die Leichen vom ersten Angriff noch dazu, dann dürfte von den Tramps eigentlich kaum noch jemand übrig sein. Ich erinnere daran, dass es nur 30 Leute waren.

44:54
Ein lächerlicheres Indianergeheul habe ich nie gehört. Im Herbst fliegen Gänse nach Süden. Das hört sich sehr ähnlich an. Und wenn wir schon bei Geräuschen sind: Dieses ganze Gepuffe beim Schießen. Da sind ja Luftgewehre auf der Kirmes lauter. Die welt­kriegs­er­fah­re­ne Filmcrew hätte es doch wohl besser wissen müssen.

44:56
Zwei riesige Flammen am Dach; Schnitt und eine Sekunde später nur noch eine. Und die ist verglichen mit dem Bild zuvor winzig. Nanu?
In den nun folgenden Kampfszenen sterben mehr Banditen, als jemals von der Hütte los­ge­ritten sind. Irgendwie erinnert mich das an die wundersame Brotvermehrung aus dem Neuen Testament.

45:52
Der Zuschauer nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass es nicht Apatschen sind, die Winnetou da anführt, sondern Osagen. Die muss er wohl gerade aus dem Hut gezaubert haben.

46:06
Irgendwo muss Fred sein Jäckchen wieder verloren haben. Jedenfalls ist er urplötzlich wieder knallrot im Bild.

46:08
Warum fällt mir die Dreiwettertaft-Werbung ein, wenn ich den Boss mit seinem schwarzen Hut sehe? (überhaupt: warum hat er ihn im Kampfgetümmel auf? Der stört doch nur; ging doch vorher auch ohne). Er stürzt vom Pferd. Der Hut sitzt. Dann gibt’s nen Messerkampf, und der Hut stört immer noch nicht. Bis zum Ende des Films.

46:12
Fred hat eine Pistole in der Hand, als er Loms Pferd erschießt. Man sieht sie auch noch einen Schnitt später. Als er aber vom Pferd springt, muss er sie dämlicherweise weggeworfen haben. Sie ist jedenfalls nicht mehr da. Wieso erschießt er den Typen nicht einfach? Nun muss er sich in einen Zweikampf begeben – wie überflüssig. Das Publikum brüllt: “The script says so!”

46:17
Da kriegt einer von hinten eins übergebraten und fasst sich an die Stirn. Ich mir auch!

46:45
Als Fred auf dem Rücken liegend den Cornel mit den Beinen über sich hinwegschleudert, ist ein versteckter Schnitt in der Szene. Entweder hier wurden zwei Takes zusammengebastelt, oder es fehlt Filmmaterial. Jedenfalls ruckelt es.

47:25
Fred killt seinen Gegner nicht (wieso nicht?), nimmt sich die Hälfte der Schatzkarte und muss dann hinter ein Steinmäuerchen flüchten. Come again: Steinmäuerchen? Ohne ei­gentlichen Zweck hat das jemand in die Wildnis gepflanzt, auf dass es jetzt zufällig nützlich werde? Wie praktisch.
Georges Götz lugt ein ums andere Mal mit dem Kopf über diese Mauer, sucht und findet seine Gegner nicht, die er doch in offener Prairie gar nicht weit entfernt hat stehen lassen, duckt sich, wenn ihm die Kugeln um die Ohren sausen, und weiß dann immer noch nicht, aus welcher Richtung die Schüsse kommen. God, gimme strength.
Zu guter Letzt steht einfach ein nackiges (ungesatteltes!) Pferd hinter ihm. Muss wohl auch übers Mäucherchen gesprungen sein und scheinbar nur auf ihn gewartet haben.

48:21
Fred stellt lapidar fest: „Der Cornel ist entkommen“, als hätte er nicht durch Dummheit dazu beigetragen. Und wieso weiß Fred überhaupt, dass der Typ sich einen militärischen Rang zugelegt hat?

49:50
Also was da aus diesem unpräzisen Schatzkärtchen so alles herausgelesen wird. Als hätte man eine Generalstabskarte vor sich. Gerade eben war man noch in schwere Kämpfe ver­wi­ckelt, schmutzig mit zerschlissenen Klamotten, und schon steht man da, gestriegelt und ge­bügelt, und sogar eine Krawatte hat man gefunden. Ich glaub’s nicht.

50:05
Im Stall sieht’s nicht besser aus. Irgend jemand hat Götz George ein ihm passendes neues Hemd besorgt (sein hübsches rotes war ja auch im Kampf mit Lom einen einsamen Tod gestorben). Und der hübsche blaue Sonntagsstaat von Frau Dor hätte gut in jeden Hei­mat­­film gepasst – für den Stall im Übrigen ganz besonders geeignet. Sie müsste jetzt nur noch zur Mistgabel greifen.
Fred erzählt zum wiederholten Male, dass er sich rächen will, dass er den Mörder seines Vaters mit den eigenen Händen meucheln will. Warum zum Donnerwetter hat er’s nicht schon längst getan? Die Gelegenheit war doch da! Und ich verrate nicht zuviel, wenn ich mitteile, dass es zu dieser vom Zuschauer erwarteten Rache niemals kommt. Dramaturgisch unklug, solche Ankündigungen zu bringen.
Und dann nimmt man überrascht zur Kenntnis, dass die beiden so etwas wie ein Paar sind, offenbar schon seit einer Zeit, bevor der Film anfing. Warum erfährt das der Zuschauer nicht vorher? Als sich andeutete, dass Butlers Farm angegriffen werden soll – etwa bei 24:25 – hätte Fred doch aus Angst um seine Geliebte ganz anders reagieren müssen!

54:58
Dass Gunstick-Uncle den vom Himmel gefallenen Vogel für einen Geier hält, muss wohl als künstlerische Freiheit durchgehen.

57:38
Wie kommen die mehr als deutlichen Reifenspuren in den Wilden Westen? Wie konnten sich zwei Pferde samt Reiter hinter den lächerlichen Büschen verstecken? Wieso sind die überhaupt da? Wie hätten die wissen können, dass ausgerechnet das Dorle von den andern getrennt wird und auf der Flucht vor den Indianern (wieso interessieren die sich überhaupt für die Frau?) exakt hier vorbei kommen würde? Aberwitz, lass endlich nach.

59:03
Die Utahs ziehen sich ohne erkennbaren Grund aus dem Kampf zurück und kommen auch nicht wieder, nicht mal in ihr eigenes niedergebranntes Dorf. Old Shatterhand brüllt noch hinterher: „Wir sind Freunde, Freunde der Utahs!“ (Total glaubwürdig übrigens). Und das war’s. Absurd. Es wurden reichlich Pferde erschossen, weil Mensch geschont werden sollte. Komischerweise liegen aber nirgendwo Kadaver herum.

59:30
Die Banditen sind nur noch zu Zwölft. Man kann es jetzt zählen. Da hat man dann also endlich ein paar Statisten aus dem Bild geholt und in den wohlverdienten Feierabend entlassen.

1:00:04
Der Cornel muss eigentlich davon ausgehen, dass die kleine Gruppe um Old Shatterhand und Winnetou von den Utahs gefangen genommen oder getötet wird. Dass die Utahs sich unlogischerweise zurückziehen würden, muss ihm aber jemand eingeflüstert haben. Sonst hätte er für seine Gegner kein Briefchen hinterlassen.

1:00:41
Der Zuschauer erfährt, dass Fred den Schatzplan im Kopf hat. Das dürfte dann doch eigentlich auch für die Begleiter gelten. Die haben ihn doch auch alle gesehen. Wieso nimmt Shatterhand dann die beiden Teile an sich, statt sie einfach zu verbrennen? Und wenn man meint, dass man die Teile noch als Tauschobjekte gegen Ellen braucht, dann hätte man sich schnell zwei Stücke Leder aus dem Rock schneiden und eine Fantasiekarte neu zeichnen können. Und wieso reitet man überhaupt zum Silbersee, solange die Tramps noch lauern? Der Schatz läuft doch nicht weg! Und warum hat der Cornel, wenn er denn kein fo­to­gra­fi­sches Gedächtnis hat, sich nicht vorsichtshalber eine Kopie gefertigt? Und und und … Wie fast alle Schatzkartengeschichten, so ist auch diese hier unausgegorener Quatsch. Und ich verrate was: Nach dieser Szene sind die Kartenteile im Film nicht mehr zu sehen. Es fragt auch keiner mehr danach.

1:01:12
„Sperrt sie in die Kirche“. Das Gebäude sieht von außen auch aus wie eine Kirche. Fred wird später ebenfalls dort eingesperrt. Dass aber drei zwielichtige Gestalten bei 1:02:32 durch Gitterstäbe hineinsabbern und Fred bei 1:04:14 durch die gleichen Stäbe den Mann-der-in-die-Ferne-sieht gibt, darf schon verwundern. Seit wann gehört eine Knast-Ausstattung zur Kirchenarchitektur?

1:04:35
Man sehe sich Fred mal ganz genau an. Die Frisur hat wieder einen Scheitel, der noch vor seiner Festsetzung in der Kirche (1:03:27) verschwunden war. Die Platzwunde rechts an der Stirn, die von einem Utah-Tomahawk stammte, in den er blöderweise hineingelaufen ist, ist dagegen verschwunden. Wunderheilung?

1:05:37
Ellen und Fred tragen wie aus heiterem Himmel Lederwesten. Wo kommen die denn her?

1:09:05
Kann mir jemand erklären, wieso die Utahs aus dem selben Grund wieder angreifen, aus dem sie es in ihrem Dorf ja schon mal taten? Damals waren sie aber abgezogen. Und die Situation jetzt ist nicht erfolgversprechender als die zuvor. Die Bedrohten hocken alle zusammen in einer winzigen Deckung und sind von den Utahs eingekreist. Schon wieder. Die Diskussion, die jetzt um Freund und nicht Freund geführt wird, hätte man auch schon vorher haben können. Is’ mir langweilig.

1:09:11
Nun steht er da, der große Häuptling mit riesiger Federhaube. In seinem eigenen Dorf hatte er die noch nicht. Wo mag sie so plötzlich her gekommen sein?
Warum sollte Old Shatterhand zustimmen, sich dem Gerichtsspruch zu beugen, wie auch immer der ausfällt? Wie er ausfallen muss, kann er sich doch denken. Er kann doch nicht mit einer gerechten Beurteilung rechnen.
Wer möchte, kann sich in dieser ‚Nachtszene‘ übrigens gern an den Schatten delektieren, die Bäume und Menschen so werfen.

1:12:00
Wie kommt Sam an seinen schwarzen Hut? Steht ihm gar nicht.

1:14:15
Wieso ist man jetzt so nackig? Sams Hut ist wieder verschwunden und Shatterhand hat seinen Henry-Stutzen, mit dem er gerade eben noch sinnlos Kugeln verballert hat, an­schei­nend auch nicht mehr nötig. Dabei hatte er doch darauf bestanden, dass sie ihre Waffen behalten dürfen. Eieieieiei.

1:15:34
Wenn jemals ein Felsen unnatürlich nach Pappmaché aussah, dann dieser Findling. Das hat schon beinahe Studio-Qualität à la Star Trek.

1:20:17
Was Winnetou hier von sich gibt, ist schwer zu ertragen. Er war beim Cornel und berichtet darüber. Er war auch bei den Utahs und weiß, das die Gefährten verfolgt werden. Dann müsste er eigentlich von hinten kommen und die Kameraden einholen. Aber er kommt ihnen entgegen. Nachdem bereits Old Shatterhand in größter Eile ist und den direkten Weg zum Silbersee nimmt, müsste Winnetous Pferd geflogen sein, um ihm auf einem Umweg entgegen kommen zu können.

1:24:26
Wie diese Deppen von Utahs hinter Winnetou herreiten – im Gänsemarsch – ist wirklich zu putzig. Und keiner ahnt, dass es in eine Falle gehen soll. Und wieder dieses lächerliche Gejaule, das mir schon bei den Osagen auffiel. Könnte es sein, dass das überhaupt dieselben Statisten sind, denen man nicht mal das Kostüm gewechselt hat? Indianer sehen doch eh alle gleich aus. Nur Winnetou nicht. Der fällt aus dem Rahmen. Als Häuptling so ganz ohne Stamm im frisch gewaschenen Lederdress bei sängender Hitze. Wow.

1:26:08
Wie ist der große Wolf bloß in die Szene gekommen? Aus dem Nichts, auf einem Weg, den außer ihm niemand kennt. Geflogen sein muss er auch. Und irgendwer muss ihm aus der Kulisse zugeflüstert haben, wo seine Leute sich rumtreiben. Das Publikum brüllt: “The script says so!”

1:26:50
Götz ist wieder gestriegelt und gebügelt. Nächte und Tagesritte in freier Natur machen so einer Fit-und-flott-Frisur offenbar gar nichts aus.

1:32:08
Was soll jetzt das? Da befreien sich Fred und Ellen auf so intelligente Weise und dann schwimmen sie ihrem Gegner direkt wieder ins Netz. Wie doof muss man sein? Und wäh­rend die beiden wenigstens bewiesen haben, dass sie schwimmen können, bauen die Ban­di­ten ein Floß, um den lächerlich kleinen See zu überqueren? Ach Gott, gib mir Geduld!

1:32:22
„Ich fahre jetzt … zur Grotte“. Das impliziert doch, dass das Floß fertig ist. Tatsächlich wird aber im Hintergrund noch ein Stamm geschleppt. Der hat übrigens eine hübsch saubere Schnittfläche wie von einer Kreissäge. Wie hat man das im Wilden Westen bloß so schön glatt hingekriegt? Wenn sie jetzt irgend einen geklauten Tomahawk dabei gehabt hätten, um damit Bäume zu schlagen, das hätte ich ja noch verstanden, aber eine Säge?

1:34:28
Könnte mir jemand den Lichtschein erklären, der da oben aus der Höhle kommt? Scheint da die Sonne durch’s Gestein oder hat jemand drin einen Scheinwerfer brennen lassen?

1:35:00
Wer ist der Hüter des Schatzes? Warum ist er da, und wer versorgt ihn? Es erscheinen Fremde, und er tut nichts, was man als Hüten bezeichnen könnte. Scheint jedenfalls kein Utah zu sein, obwohl der Schatz auf dem Gebiet der Utahs liegt. Er spricht Tonkawa, aber wer spricht das noch? Am Ende reicht die Kraft noch, um an einer Ankerkette zu ziehen (Indianer waren schon immer für ihre Eisenschmiedekunst bekannt) und der Schatz (bestehend aus unnatürlich lackierten Styroporblöcken) wird samt Bösewicht abgekippt. Als Hüten will sich mir auch das nicht darstellen.
Dass nun der Cornel versenkt ist, ist ja wunderbar. Aber darf ich daran erinnern, dass auch die ‚Guten‘ sich nie die Frage nach den Eigentumsrechten gestellt haben? Petterson hat den Schatz doch einfach nur abholen wollen. Moral, Moral, wo bleibst Du? Versteck Dich nicht!

1:38:00
Wenn diese „Hallo, hallo“-Rufe im Kino nicht ein kreischendes Gelächter hervorgerufen haben, dann weiß ich auch nicht.

1:38:32
„Du wirst schon noch reden. Losschneiden und aufhängen!“ Hat denn niemand diesen Widerspruch erkannt? Wer soll denn reden können, wenn er am Ast baumelt?

1:40:50
Old Shatterhand und Winnetou paddeln in einem Kanu, das Carl Lindeberg kaum schöner hätte zeichnen können. Aber wo kommt es her? Auf Gepäckpferden mitgebracht? Gerade eben mussten Banditen noch ein Floß bauen, und nun ist ein schön bemaltes Kanu einfach so da?

Bei denjenigen, die tatsächlich bis hierher durchgehalten haben, bedanke ich mich herzlich. Am meisten hat mich getroffen, dass diese Vernichtung des Drehbuchs möglich war, ohne Werktreue überhaupt zu überprüfen, die ja gerade bei den späteren May-Verfilmungen immer den Hauptkritikpunkt dar­stellt. Nicht so bei den frühen, vor allem „Winntou 1. Teil“ und „Der Schatz im Silbersee“. Im Ergebnis habe ich seither keine einzige May-Ver­fil­mung mehr angeschaut, und die Ausgabe für die DVDs war ziemlich sinnlos – wenn man von diesem Beitrag einmal absehen mag.

Deshalb also geht es hier (und möglicherweise andernorts) meinerseits nur noch ums Gedruckte. Demnächst mehr.

Wolfgang Hermesmeier
Berlin, 24. Mai 2021

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